Projektbeispiele

Polygreifer ersetzt Druckluft und spart Energie

Druckluft ist einer der ineffizientesten industriellen Energieträger. Der Wirkungsgrad, also die aufgewendete Energie für die geleistete Arbeit, liegt bei unter zehn Prozent. Sie ist bisweilen unersetzlich für die Bereitstellung mechanischer Energie. Zwar könnten Unternehmen teilweise Lösungen mit Elektromotoren einsetzen, die einen Wirkungsgrad von bis zu 90 Prozent haben. Vor allem aber bei Saug-Hebe-Vorgängen mit Vakuum zur Umlagerung poröser Werkstücke gab es bisher kaum Alternativen. Das will das junge Unternehmen eta|opt GmbH aus Kassel ändern. Zusammen mit zwei Fachbereichen der Universität Kassel sowie mit Hilfe des Landesprogramms LOEWE entwickelte es einen Polygreifer.

44 Prozent des Stroms in Deutschland verbraucht die Industrie. Das sind gewaltige 233 Gigawattstunden (GWh). Rund ein Drittel entfallen auf die Erzeugung mechanischer Energie. Davon wiederum setzen die Unternehmen rund 17 GWh allein für die Drucklufterzeugung ein. Um die Größenverhältnisse zu begreifen: Die Deutsche Bahn verbrauchte 2012 insgesamt etwa 12 GWh Strom. Die Substitution von Druckluft bietet also ein enormes Einsparpotenzial; für die Umwelt in Form geringerer CO2-Emissionen und für die Unternehmen als Kostenfaktor. Bisher haben einige Unternehmen an der Optimierung ihrer Drucklufterzeugung gearbeitet. Wo es ging, stellten sie auf Elektromoren um, beseitigten Leckagen, installierten Wärmerückgewinnungssysteme, investierten in energieeffizientere Kompressoren und senkten das Druckniveau. „Das alles ändert aber nichts an der Ineffizienz. Wir gehen davon aus, dass wir durch eine vollständige Substitution der Druckluft Einsparpotenziale von 40 bis 50 Prozent für die Industrie realisieren können“, schätzt Dr.-Ing. Christoph Pohl. Das 2015 aus der Universität Kassel heraus gegründete Unternehmen eta|opt GmbH hat bereits zwei elektromechanische Saug-Hebe-Systeme im Markt. Sie sind das Ergebnis der Promotion des Gründers. „Mit dem Polygreifer haben wir nun eine Lösung in Vorbereitung, die eine Druckluftanwendung für Werkstücke mit porösen Oberflächen substituieren kann.“

 

Wärmeleitfähiger Kunststoff verändert Aggregatzustand und sorgt für Kraftschluss

Die Handhabung von Werkstücken mit porösen Oberflächen wie Stoff, Papier, Holz oder angeraute Materialien lassen sich bisher am besten mit Vakuum umsetzen, das mit dem Venturi-Prinzip aus Druckluft erzeugt wird. Durch diese Technologie sinkt der schlechte Wirkungsgrad der Druckluft nochmals zusätzlich um den Faktor vier. Angeregt durch Kunststoffentwicklungen am Max-Planck-Institut für intelligente Systeme sowie Forschungsprojekten der Klebstoffindustrie beschlossen die Partner, ein Greifsystem auf Basis eines thermoplastischen Kunststoffes zu entwickeln, der durch Anlegen einer Spannung seine Temperatur und damit seinen Aggregatzustand ändern kann. Ziel des Polygreifers war, einen wärmeleitfähigen Thermoplast durch Zusatzstoffe so zu modifizieren, dass er sich durch Anlegen einer Spannung in wenigen Sekunden erwärmt und ebenso schnell wieder abkühlt und dabei selber keine Klebe- beziehungsweise Bindewirkung entfaltet. Zudem sollte die Temperaturänderung möglichst schnell erfolgen, um effiziente Greif- und Ablagezeiten zu erzielen. Mit dem Anlegen der Spannung an den Thermoplast erwärmt sich dieser und kann seine Form an ein Werkstück anpassen. Bei der Abkühlung schrumpft das Polymer und es wird ein Kraftschluss hergestellt. Durch nochmaliges Erwärmen des Polymers löst sich der Kraftschluss wieder.

 

Peltier-Element sorgt für sekundenschnelle Temperaturänderung

Die genaue Temperatursteuerung sowie die Auswahl des geeigneten Thermoplasts mit einer von Hause aus niedrigen Fließtemperatur war die große Herausforderung für das Projekt. Das Ausgangsmaterial musste zudem eine niedrige Oberflächenenergie, einen niedrigen Erweichungspunkt sowie eine geringe Wärmekapazität bei gleichzeitig hoher Wärmeleitfähigkeit aufweisen. Als polymere Werkstoffe kamen Thermoplaste aus der Gruppe der Polyolefine zum Einsatz. Diese wurden mit verschiedenen Zusatzstoffen, unter anderem Grafit, so modifiziert, dass sie die gewünschten thermischen Eigenschaften erfüllten. Aufheizen und Abkühlen des Thermoplasts erfolgt über ein sogenanntes Peltier-Element. Das Peltier-Element besteht aus zwei unterschiedlichen Halbleitern, die in Reihe geschaltet sind. Beim Übergang der Elektronen zwischen den Halbleitern wird Energie aufgenommen; es kühlt. Auf der gegenüberliegenden Seite wird durch den Elektronenübergang Energie abgegeben, es kommt zu einer Erwärmung. Wird die warme Seite zusätzlich durch einen Kühlkörper aktiv oder passiv gekühlt, lässt sich die Temperatur der kalten Seite schneller absenken. Eine Stromrichtungsumkehr bewirkt die Vertauschung der kalten und warmen Seite des Elements.

 

Polygreifer könnte bis zu 70 Prozent Energie einsparen

Zusammen mit den Fachbereichen Trennende und Fügende Fertigungsverfahren sowie dem Lehrstuhl für Kunststofftechnik haben die Partner einen Demonstrator entwickelt, der die ursprünglichen Erwartungen übertrifft. Ein Handhabungszyklus, also greifen, erwärmen des Thermoplasts, umsetzen, abkühlen gelingt mittlerweile in knapp vier Sekunden. „Wir arbeiten an der weiteren Optimierung des Thermoplasts und dem Peltier-Element und werden den Handhabungszyklus auf unter eine Sekunde senken“, kündigt Dr.-Ing. Pohl an. Der Demonstrator wird 2019 bei zwei Kunden zum Testeinsatz kommen. Bei eine Beispielanwendung stellte der Demonstrator seine Energieeffizienz bereits unter Beweis: Der Polygreifer benötigt bei einer Stunde Betrieb rund 96 Wh an Energie, wobei der Löwenanteil für Aufheizen und Abkühlen verwendet wird. Die gleiche Anwendung verbraucht mit Druckluft 319 Wh Strom. Der Demonstrator erzielt also eine Energieeinsparung von rund 70 Prozent.

 

Dieses Projekt (HA-Projekt-Nr.: 512/16-24) wurde von Januar 2016 bis Oktober 2018 im Rahmen der Innovationsförderung Hessen aus Mitteln der LOEWE – Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz, Förderlinie 3: KMU-Verbundvorhaben gefördert.

 

Stand: Dezember 2018
Text: Christian Gasche

Antragsteller

Dr.-Ing. Christoph Pohl 
pohl@etaopt.de

eta|opt GmbH
Universitätsplatz 12
34127 Kassel
www.etaopt.de

Projektpartner

Prof. Dr.-Ing. Stefan Böhm
s.boehm@uni-kassel.de

Universität Kassel
Kurt-Wolters-Str. 3
34125 Kassel
www.uni-kassel.de

Ansprechpartner

Produktion und Werkstoffe

Renate Kirsch

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Projektmanagerin Produktions- und Materialtechnologie, Verfahrenstechnik, Optik, Industrie 4.0

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