Projektbeispiele

Moleküle aus Mittelhessen sorgen für Evolution in der Halbleiterindustrie

Sie stecken in jedem Smartphone. Ohne sie gäbe es kein schnelles Internet und niemand würde von Industrie 4.0 reden. Halbleiter sind das Herzstück elektronischer Bauelemente. Diese bestehen aus Kristallen. Um sie zu produzieren, sind metallorganische Verbindungen erforderlich. Die Dockweiler Chemicals GmbH aus Marburg entwickelte zusammen mit dem Fachbereich Physik und dem Wissenschaftlichen Zentrum für Materialwissenschaften der Philipps-Universität Marburg ein innovatives Verfahren für die Kristallherstellung. Diese Innovation steigert oder erweitert die Eigenschaften von Halbleitern in der Lasertechnologie zur Signalübertragung und in der Entwicklung neuer Computerprozessoren.

Kaum ein medizinisches Großgerät und geschweige denn eine moderne Industriemaschine funktionieren heute ohne Halbleiter. Computerprozessoren, Speicherchips und Mobiltelefone sowie opto-elektronische Bauelemente, wie sie in Licht Emittierenden Dioden (LED) und Laserdioden arbeiten, basieren auf diesen Halbleiterkristallen. Für deren Herstellung kommen metallorganische Verbindungen zum Einsatz. Stand der Technik für das Wachstum der Halbleiterkristalle ist die metallorganische Gasphasenepitaxie (MOVPE: metalorganic vapor phase epitaxy). Diese arbeitet in einem Temperaturbereich von 600°C bis 1.200°C. In einem Reaktor treffen metallorganische Vorläufermoleküle auf eine kristalline Trägersubstanz, das sogenannte Substrat und wachsen dort als Kristall auf. Die Prozesstemperatur ist materialspezifisch und bestimmt das Eigenschaftsprofil der Kristalle. 

 

Gallium-Verbindung ermöglicht neue Halbleiterprofile und Funktionen

Für neuartige Halbleiter mit verbesserten Eigenschaftsprofilen sind neue Verfahren für die Kristallherstellung notwendig. Das Konsortium entwickelte und evaluierte einen neuen Herstellungsprozess mit einer Gallium-Vorläuferverbindung, dem TTBGa (Tritertiärbutyl Gallium). Dockweiler entwickelte die großtechnische Synthese und Aufreinigung des Produktes. Die Universität untersuchte die Anwendungstauglichkeit sowie die Reinheit und Auswirkungen auf den Kristallabscheidungsprozess. Eine Herausforderung bei dem Projekt war, dass viele neuartige Halbleiterstrukturen, mit denen künftig ältere Materialien abgelöst werden könnten, eine sogenannte Metastabilität aufweisen. Damit bezeichnet man in der Physik einen Zustand, der nicht dauerhaft im Gleichgewicht ist. Ändern sich die Rahmenbedingungen beispielsweise durch Temperatur, nimmt der Kristall seine stabilen Phasen ein, verliert damit aber die gewünschten Eigenschaften. Das Ziel der Projektpartner war es nun, mit einer Reduzierung der Prozesstemperatur neue Eigenschaftsprofile für Halbleiterkristalle zu realisieren. Die bisher verwendeten Standard-Vorläufermoleküle waren für die niedrigeren Reaktionstemperaturen aber nur bedingt geeignet. Mit der alternativen Gallium-Verbindung wurde dieses Ziel erreicht. Die Chemikalie ermöglicht nun die Zucht von Halbleiterkristallen, die neue, bisher nicht realisierbare elektronische Eigenschaftscharakteristika in Halbleitern zulassen.

 

Höhere Performance bei geringerem Ressourcenverbrauch

Die neue Chemikalie ermöglicht die Herstellung von Halbleitern, die den Energieaufwand für die Kühlung von Rechenzentren deutlich reduzieren könnten. Bei der Produktion von Computer-Prozessoren erwartet das Konsortium einen Durchbruch für die Erhöhung der Taktfrequenz, die seit Jahren nicht gesteigert werden konnte. „Unsere neue Chemikalie bedeutet einen evolutionären Fortschritt für die Halbleiterindustrie“, ordnet Dr. Jörg Koch von Dockweiler Chemicals die Entwicklung ein. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Mittelständler mit führenden Halbleiterherstellern im Kontakt steht. „Die Aussicht besteht, dass durch unsere Innovation Halbleiter für Smartphones und Computer künftig eine deutlich höhere Performance liefern können. Im laufenden Betrieb könnten sie bei höherer Leistung neue Anwendungen bei einem geringeren Energieverbrauch ermöglichen“, hofft Dr. Koch. Ebenso bedeutsam sind die Projektergebnisse für den Betrieb von Rechenzentren und hier vor allem von Internet-Knotenpunkten. In diesen kommen Laser für die Signalübertragung via Glasfaserkabel zum Einsatz. Für einen effizienten Betrieb müssen diese aktiv gekühlt werden. Auch deshalb verbrauchen Rechenzentren so viel Energie. Ausgehend von einer weiterhin steigenden Internetnutzung wird der Energieverbrauch zu einem zunehmenden Problem. Mit Halbleitern, die mit der Chemikalie aus Marburg produziert werden, lässt sich der Energieverbrauch voraussichtlich signifikant senken. „Unsere Ergebnisse sind für die industrielle Produktion von metallorganischen High-Tech-Materialien ein Durchbruch. Das neue Verfahren bekräftigt die weltweit führende Position der beiden Projektpartner“, so Dr. Koch. 

 

Dieses Projekt (HA-Projekt-Nr.: 437/14-27) wurde von Oktober 2014 bis Herbst 2016 im Rahmen von Hessen ModellProjekte aus Mitteln der LOEWE – Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz, Förderlinie 3: KMU-Verbundvorhaben gefördert.

 

Stand: Dezember 2017
Text: Christian Gasche

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