Projektbeispiele

Neuer Verbundwerkstoff spart 50 Prozent Gewicht im Karosseriebau

Seit Jahren werden Autos immer schwerer. Neue Sicherheits- und Komforttechnik sorgen dafür, dass ein aktueller Golf 7 um 50 Prozent schwerer ist als sein Urahn, der Golf 1. Deshalb forschen Hersteller und Zulieferer an Werkstoffen, die leichter sind als Stahl und Blech, aber die gleichen Crash-Eigenschaften aufweisen. Die compoScience GmbH aus Darmstadt hat mit dem durch das LOEWE-Programm geförderten Projekt CohyBA nun einen Verbundwerkstoff entwickelt, der 50 Prozent leichter ist und gleichzeitig bei Verformung durch einen Unfall die gleiche Energie absorbiert wie klassische Stahlkonstruktionen.

Die Zahl der Verkehrstoten kennt seit den siebziger Jahren nur eine Richtung: abwärts. Kamen 1970 noch über 19.000 Menschen im Straßenverkehr um, waren 2017 bei mehr als der dreifachen Fahrzeuganzahl nur noch 3.177 Verkehrsopfer zu beklagen. Grund für diesen erfreulichen Trend sind neben Sicherheitsgurten, Kopfstützen und Airbags sogenannte Knautschzonen und stabilisierende Karosserieteile, die bei einem Unfall die negativen Beschleunigungskräfte aufnehmen. Seitenprotektoren aus Stahl in Türen und Schwellern, Dachelementen sowie A- und B-Säulen haben zwar die Fahrgastzellen sicherer gemacht, das Fahrzeuggewicht aber erhöht. Hier setzte die Idee von Martin Fleischhauer, Geschäftsführer der compoScience GmbH an, die er schon 2013 mit Dr. Armin Kraatz formulierte, dem Geschäftsführer von dem Evonik-Joint Venture LiteCon. Zusammen mit der Hochschule Darmstadt und der Opel Automobile GmbH wollten sie ein Karosseriebauteil aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) und anderen Standardmaterialien entwickeln, das die gleiche Zähigkeit und Biegefähigkeit hat wie Stahl. 

 

Neue Mixtur aus Fasern, Kunstharz und speziellen Additiven

CohyBA steht für „Crash-optimierte hybride Biegeträger für die Automobilindustrie“. Das selbstgesteckte Ziel der Partner war, aus freiverfügbaren Standardmaterialien einen neuen Werkstoff für hochfeste Strukturbauteile im Fahrzeugbau zu entwickeln. Zudem sollten durch Materialprüfungen dessen Eigenschaften auf Festigkeit, Biegefähigkeit und Elastizität gemessen und die Daten für die Karosserieentwicklung und Crash-Simulation aufbereitet werden. Opel schlug vor, einen Seitenschweller für das Opel Astra Cabrio als Demonstrator auszuwählen. Da bei einem Cabrio das Dach fehlt, muss der Schweller besonders verstärkt sein, um bei einem Aufprall hinreichenden Insassenschutz zu gewährleisten. Um den bisherigen Stahl-Schweller ersetzen zu können, experimentierten die Projektpartner mit verschiedenen Fasern wie Carbon, Glas und Kevlar, die sie mit unterschiedlichen Mixturen von Epoxidharzen und Additiven kombinierten. Nachteil der bisherigen Faser-Matrix-Verbunde ist, dass sie spröde sind und schon bei geringen Verformungen brechen und so nur eine geringe Energieaufnahme besitzen. Erst die besondere Faserarchitektur und die Ertüchtigung des Harzsystems machte das System bereit für die hohen dynamischen Lasten beim Seitenaufprall eines Pkw. Insgesamt stellte compoScience rund 20 verschiedene Mixturen her, um die ideale Kombination der Fasern mit Kunstharzen und Additiven zu finden. „Unsere Lösung mit den speziellen Additiven stellt eine Innovation dar, die dem neuen Werkstoff erst in ihrer exakten Mixtur die gewünschten Eigenschaften verleiht“, erläutert Martin Fleischhauer. Aus den Faser-Harz-Mixturen fertigten Techniker anschließend jeweils Rohrprofile und Platten als Probekörper, die auf ihre Dehnbarkeit, Biegefähigkeit und Zähigkeit getestet wurden. An den Materialtests beteiligte sich die Hochschule Darmstadt. So entstanden umfangreiche Messreihen, bei denen sich die beste Mixtur herausbildete.

 

CohyBA macht Astra Cabrio-Schweller 50 Prozent leichter

Nach der Entwicklung musste sich der neue Werkstoff dann bewähren. Opel stellte die Geometriedaten des Astra Schwellers zur Verfügung und compoScience baute daraus mit dem neuen Werkstoff den Schweller nach. Die Grundkonstruktion des neuen Astra-Schwellers besteht aus einer Faserverbundschale, die mit einem Schaumstoff von LiteCon gefüllt ist. Dieser Schaumkern, der ursprünglich für die Luftfahrt entwickelt wurde, stützt die lasttragende Schalenstruktur und trägt selbst erheblich zur Energieaufnahme im Crashfall bei. Zudem dient der Schaumkern als Fertigungshilfsmittel: Die Verstärkungsfasern werden in einem Flechtprozess automatisiert auf dem Schaumkern abgelegt. Hier zeigte sich bereits, dass der neue Schweller um 50 Prozent leichter werden würde. „Ein wesentliches Projektziel war damit bereits erreicht“, erinnert sich Martin Fleischhauer. „Aber würde der neue Schweller auch das gewünschte Crash-Verhalten zeigen?“

 

Crash-Simulation bestätigt die gewünschten Materialeigenschaften

Die nachfolgenden Materialprüfen erbrachten weitere Messdaten, die anschließend in eine Simulationssoftware geladen und ausgewertet wurden. Das von vielen Automobilherstellern genutzte Programm LS-DYNA wird für Crashtest-Simulationen eingesetzt, um Karosseriebauteile und ihr Verhalten unter verschiedenen Unfallsituationen zu analysieren und zu optimieren. Aufgrund der gemessenen Materialeigenschaften simulierten die Ingenieure einen Seitenaufprall des Astra Cabrios auf einen Strommast. Die mit LS-DYNA gewonnenen Erkenntnisse führten zu weiteren Modifikationen am Laminataufbau. Am Ende stand ein serienfertiges neues Bauteil mit den gewünschten Materialeigenschaften.

 

Großes Interesse der Automobilindustrie an Innovation aus Hessen

Bislang ist zwar offen, ob die Opel Automobile GmbH CohyBA in der Serienfertigung einsetzen wird. Dafür aber hat der neue Werkstoff bei Ingenieuren von Premiummarken Interesse geweckt. Denn gerade im oberen Preissegment wollen Hersteller die immer schweren Karosserien auf Diät setzen, um die CO2-Emissionen zu senken. „Wir sind im Gespräch mit anderen Premiummarken. Mit den Messreihen aus unseren Laborprüfungen führen sie Simulationen mit CohyBA durch. Ich bin mir sicher, dass sich unser leichter Verbundfaserwerkstoff durchsetzen wird“, zeigt sich Martin Fleischhauer zuversichtlich.

 

Dieses Projekt (HA-Projekt-Nr.: 476/15-18) wurde von Juli 2015 bis Juni 2017 im Rahmen der Innovationsförderung Hessen aus Mitteln der LOEWE – Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz, Förderlinie 3: KMU-Verbundvorhaben gefördert.

 

Stand: Dezember 2018
Text: Christian Gasche

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